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Europäische Kulturtage eröffnet: Europa zwischen Individualität und gemeinsamen Bestrebungen

| Christine Gehringer | PAMINA kurz notiert

Dass in Pandemie-Zeiten ganze (digitale) Festivals ausgerichtet werden, gehört zu den erstaunlichen Ereignissen dieser Tage. Die Organisatoren der Europäischen Kulturtage, so bemerkte der Karlsruher Oberbürgermeister Frank Mentrup jetzt zur Eröffnung, hätten es fertiggebracht, „sich auf alle Varianten einzustellen“: digital, hybrid und mit Präsenz. Das Festival geht nun rein digital über die Bühne; das Programm (www.eurpaeische-kulturtage.de) ist über den Youtube-Kanal EKT TV zu sehen.
Gerade in Krisenzeiten scheint der europäische Gedanke von zentraler Bedeutung: Nicht nur, was die Diskussionen um die Grenzschließungen im vergangenen Jahr angeht - sondern auch, was den Umgang mit der Pandemie in den verschiedenen Gesellschaften betrifft. In den USA, so Mentrup, stehe vor allem die Freiheit des Einzelnen im Vordergrund - in Asien dagegen ein System, das zwar hinsichtlich der Pandemie-Bewältigung anscheinend funktioniert, das aber andererseits Menschenrechtsverletzungen mit sich bringt. In Europa dagegen befänden sich die angestrebten Diskussionen „an der Nahtstelle zwischen dem Recht des Einzelnen und dem gemeinschaftlichen Bemühen“.
Die per Video eingespielte Festrede zum Thema der Kulturtage - „Europa, ein Versprechen“ - nahm vor allem diejenigen Menschen in den Blick, für die Europa tatsächlich ein Versprechen bedeutet, weil sie vor Krieg und Gewalt fliehen. Leoluca Orlando, Bürgermeister von Palermo, machte unter anderem wegen seines humanitäres Engagements in der Flüchtlingskrise von sich reden. In seiner Charta von Palermo fordert er ein „Menschenrecht auf Freizügigkeit“, was die freie Wahl des Aufenthaltsortes mit einschließt. „In Palermo“, sagte er in seiner Rede, „gibt es keine Migranten, keine Ausländer, sondern nur Bürger von Palermo – mit den gleichen Rechten und Pflichten.“ Palermo sei eine sichere und solidarische Stadt, in der auch in Krisenzeiten niemand allein bleibe. Leidenschaftlich warb er dafür, Europa als gemeinsamen "Schutzraum“ zu betrachten. Zudem habe seine Stadt im Kampf gegen die Mafia während der vergangenen 40 Jahre einen starken Wandel durchlaufen. „Populisten hingegen“, so sagt er, „haben keinen Respekt vor der Zeit. Sie meinten, Probleme könnten „sofort und ohne Konflikte gelöst werden“. Bedauerlich war allerdings, dass Orlandos (auf Deutsch gehaltene) Rede schwer zu verstehen war.
Gewissermaßen an die Wurzeln europäischer Werte – nämlich ins antike Griechenland – führte der musikalische Teil des Abends: Aus dem Lichthof der Hochschule der Gestaltung kam „Persephassa“ (eine Anspielung auf die Göttin Persephone) für sechs Schlagzeuger von Yannis Xenakis, in einer Interpretation mit Isao Nakamura und fünf Perkussionisten der Musikhochschule Karlsruhe. Durch die entsprechende Anordnung der Instrumente und ein mittig platziertes Publikum soll hier ein Spannungsfeld aus „beweglichen“ Raumklängen entstehen - was wiederum den Gedanken von Raum und Mobilität aus der Festrede aufgriff. Der räumliche Eindruck entfiel naturgemäß auf dem Übertragungsweg, aber die Kameraführung ließ nachverfolgen, welche Rolle der Einzelne im Zusammenklang aus wechselnden Rhythmen und Klangmustern, aus Tropfen, Rauschen und Beben spielte – bis am Ende buchstäblich mit einem Schlag völlige Stille einkehrte.