Semester-Eröffnung an der Musikhochschule/ Karlsruher Rede: Holger Noltze stellt Fragen zu Europa
Bereits die Corona-Pandemie hatte den Hochschul-Betrieb vor erhebliche Herausforderungen gestellt (Rektor Hartmut Höll sprach gar von „verlorener Lebenszeit“) – nun erschüttert mit dem brutalen Krieg gegen die Ukraine eine neue Katastrophe die europäischen Staaten. Auch die Hochschule ist davon betroffen, und so wandte sich Hartmut Höll gleich in seinen ersten Begrüßungsworten mit einem besonders herzlichen Willkommen an sechs junge Frauen, die aus dem Kriegsgebiet geflüchtet sind und nun an der Karlsruher Musikhochschule aufgenommen wurden. Bei Gastfamilien fanden sie Unterkunft, von den Hochschullehrern werden sie zum Teil mit zusätzlichen Stunden unterrichtet; Unterstützung erhalten sie unter anderem durch den Freundeskreis der Hochschule. Insgesamt habe es eine „überwältigende Hilfsbereitschaft“ gegeben, so Hartmut Höll.
Es ist zugleich sein letztes Semester als Rektor: Am dem 8. Oktober wird er aus dem Amt scheiden; am 11. Mai soll sein Nachfolger gewählt werden. Der Hochschule aber wird Höll nach wie vor lehrend verbunden bleiben.
Das Thema Krieg und die Rolle Europas durchzog die gesamte Akademische Feier (im Rahmen derer wie gewohnt auch die Absolventen verabschiedet wurden): AStA-Vertreter Valentin von Paschotka-Lipinski verwies darauf in seiner Ansprache – ebenso wie auf die Klimakrise, die man aber glücklicherweise selbst beeinflussen könne. Die Vorsitzende des Hochschulrats, Evelyn Meining, betonte die Wichtigkeit der Kunstausübung als „Ausdruck von Freiheit“.
So durfte man auch vom Thema der Karlsruher Rede „Zur Besinnung kommen. Die Lage, Musik, Europa“ einiges erwarten. Diese Rede steht traditionell im Zentrum der Akademischen Feier zur Semestereröffnung; zu Gast war diesmal der Kulturjournalist Holger Noltze, der eine Professur für Musik und Medien/ Musikjournalismus an der Universität Dortmund innehat.
Diese Rede blieb allerdings deutlich hinter den Erwartungen zurück. Zwar streifte er - in kunstvoll ausgeschmückten Sätzen – wichtige und aktuelle Themen wie etwa die „Müdigkeit und Trägheit Europas“, er griff dabei den Erfolg autokratischer Gesellschaftsmodelle auf und die Tatsache, dass Kunst etwa in China als als „Teil einer Leistungsschau“ gesehen werde. Kunst, so resümierte Noltze, dürfe allerdings nie ein „Mittel zu irgendetwas“ sein. Auch die Frage nach dem „Unwägbaren“ müsse darin Platz finden. Zugleich betonte Noltze, dass Musiker nicht nur Verantwortung für die Ausbildung ihrer Fähigkeiten trügen, sondern sich zudem auch kulturpolitisch engagieren sollten.
In der Hauptsache warf die „Karlsruher Rede“ jedoch nur Fragen auf – immerhin, sie lieferte wichtige Denkanstöße - blieb aber ansonsten an der Oberfläche. Konkrete, tiefer gehende Ausführungen und Argumente, Struktur und Zusammenhänge vermisste man leider. Interessant und lohnenswert war vor allem der Verweis auf den Kunsthistoriker Jacob Burkhardt („Die Cultur der Renaissance in Italien“), der die europäische Idee mit dem Klang eines Glockengeläuts verglich. Die hohe Schönheit ergebe sich erst aus dem Zusammenwirken des Verschiedenen, auch wenn das Verschiedene bei näherer Betrachtung Reibung und Dissonanz bedeuten könne: „Nicht Einheit, sondern Diversität“ sei das Gebot.
Studierende und Dozenten umrahmten die Feier traditionell mit einem vielgestaltigen Programm – vom Musizieren im Ensemble (etwa mit Werken von Francois Couperin und Giovanni Gabrieli), bis hin zu ansprechenden Solo-Vorträgen mit der Schlagzeugerin Leonie Klein oder dem Pianisten Matteo Weber, der in der „Danse infernale“ aus Strawinskys „Feuervogel“ das Thema der Karlsruher Rede atmosphärisch aufgriff; expressiv auch der Vortrag des Tenors Zhuohan Sun und der Pianistin Yuriko Watanabe mit zwei Liedern von Hugo Wolf.