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Flashmob mit der "Ode an die Freude": Mitsing-Konzert im Festspielhaus als gelebte Demokratie

| Christine Gehringer | PAMINA kurz notiert

Im Grunde kann man Beethoven nicht wirklich hören (oder verstehen), ohne dabei die freiheitlich-politische Dimension mit zu bedenken. Gerade bei Beethovens Sinfonie Nr. 9 ist das „Politische“ präsent: Nicht nur, weil das Thema „Freude schöner Götterfunken“ vor mehr als 50 Jahren zur europäischen Hymne erklärt wurde – sondern auch, weil hierzulande mit der Aufführung der Sinfonie (etwa unter Kurt Masur) Gedanken an die deutsche Wiedervereinigung verbunden sind.
Diesen europäischen Gedanken greift das Festspielhaus Baden-Baden jetzt gemeinsam mit der Initiative „Pulse of Europe“ in einem außergewöhnlichen Projekt auf. Anlass ist der 200. Geburtstag der Sinfonie (sie wurde am 7. Mai 1824 uraufgeführt), aber vor allem auch die Europawahl im Juni. Deshalb erklingt am Freitag, den 26. April das wohl berühmteste Beethoven-Thema auf der Bühne des Festspielhauses - aber nicht wie gewohnt mit einem internationalen Spitzenorchester, sondern als Uraufführung in einer Mitsing-Version aus der Feder des deutsch-französischen Komponisten Aurélien Bello. In Auftrag gegeben wurde das Stück von der Philharmonie Baden-Baden; ein weiterer Anlass ist der 80. Jahrestag der Landung der Alliierten in der Normandie.

Gemeinsam mit einem kurzfristig ins Leben gerufenen Orchester, mit Chorsängern aus der Region (auch aus Frankreich) sind Bürgerinnen und Bürger dies- und jenseits der Rheins dazu eingeladen, sich an diesem „Götterfunken-Flashmob“ zu beteiligen oder auch nur einfach zum Zuhören zu kommen. Denn zu erleben ist noch anderes an diesem Abend: Zum Beispiel die Fanfare aus dem „Te Deum“ von Marc-Antoine Charpentier - auch dieses barocke Werk hat eine berühmte „europäische“ Melodie, nämlich die Eurovisions-Hymne. Es musiziert das Ensemble „L‘ Art du Bois“, das sich auf Alte Musik spezialisiert hat; Marc Marshall singt Pop und Jazz, und ein Beatboxing-Künstler wird improvisieren.

Der Abend im Festspielhaus soll zur gelebten Demokratie einen musikalischen Beitrag leisten. In einer Online-Video-Konferenz stellten Festspielhaus-Intendant Benedikt Stampa, Mediendirektor Rüdiger Beermann und die SWR-Moderatorin Evelin König (für „Pulse of Europe“) das Konzept näher vor. Ohnehin sei in Baden-Baden, in der einstigen „Sommerhauptstadt“, das Thema „Europa“ auch bei der Programmplanung des Festspielhauses stets zentral, sagt Benedikt Stampa.
Das gemeinsame Musizieren ist ein Sinnbild für den europäischen Gedanken: „Europa lebt vom Mitmachen, nicht vom Zurücklehnen und Konsumieren“, so Evelin König. Das möchte auch die Initiative „Pulse of Europe“ in ihrer Kampagne vermitteln. Denn die größte Gefahr seien nicht die Gegner Europas – sondern das sei die Untätigkeit der Bürger. „Wir hoffen, dass der Götterfunke überspringt; wir hoffen auf einen Gänsehaut-Moment, wenn Profis mit Nicht-Profis zusammen Musik machen“, so König. „Und wir hoffen, dass wir die Menschen dazu mobilisieren können, zur Wahl zu gehen“.

Musikalische Vorkenntnisse sind nicht nötig. „Auch, wer kein Chorsänger ist, soll sich angesprochen fühlen“ sagt Rüdiger Beermann. Ohnehin hat das Konzert eine Art Werkstatt-Charakter, denn die Musiker – auch Hochschul-Dozenten aus der Region haben zugesagt – lernen sich an diesem Tag erst kennen. Keine leichte Aufgabe für den Dirigenten und Chorleiter Tristan Meister.
Geprobt und aufgeführt werden soll die Europahymne an jenem Abend innerhalb einer Stunde, so lautet das Ziel der Veranstalter. „Alles hängt davon ab, wie der Chor probt“, sagt Beermann; auch hier zeige man eine „demokratische Flexibilität“. Im Übrigen kann das (singende oder zuhörende) Publikum live miterleben, wie sich die Musiker dies alles gemeinsam erarbeiten – auch das ist eine Gelegenheit, die man sonst nicht hat. Bei solchen Projekten sehe man außerdem, „welche Kraft dahinter stecken kann, wenn die Kultur ihre Stimme erhebt“, so Beermann.
Die Veranstaltung beginnt um 19.30 Uhr; wer sicher dabei sein möchte, kann sich über die Website des Festspielhauses ab sofort ein kostenloses Ticket buchen – oder auch am 26. April spontan vorbeikommen.